Meine Mutter und Oli

Meine Mutter ist ein grosser Fan von Topfpflanzen auf ihrer Terrasse. Ihr Liebling ist ein Oleander, der im Sommer rosa Blüten bekommt. Sie nennt ihn liebevoll Oli. Da meine Eltern mittlerweile Rentner sind, verreisen sie sehr oft und ich übe mich in Pflanzenpflege. Im ersten Herbst, als meine Eltern Richtung Süden unterwegs waren, vergass ich Oli auf der Terrasse. Ich vergass ihn aber nicht nur einfach, ich machte mir schlichtweg keine Gedanken. Im nächsten Sommer lobte mich meine Mutter. So viele schöne Blüten wie in diesem Sommer hätte Oli noch nie gehabt, den hätte ich wirlich gut überwintert. Angespornt durch diese Komplimente begann ich Pflanzenliteratur zu lesen. Die dort genannten Hinweise versuchte ich im folgenden Herbst für Oli zu berücksichtigen. Ich umwickelte seinen Topf mit Noppenfolie und stellte ihn zusätzlich zur auf Styropormatte. Der nächste Sommer kam, Oli blühte und sah toll aus. Meine Mutter war glücklich. Der nächste Herbst kam, ich war wieder dran mit Überwintern und ich war durch die viele Literatur inzwischen eine Art Botanikerin geworden. Da ein besonders harter Winter angekündigt war, wickelte ich Oli erneut ein und schleppte ihn diesmal zum Schutz in die Garage meiner Eltern. Ich bedeckte die Erde in seinem Topf um ihn herum mit Stroh, liess nur eine kleine Öffnung für das Giesswasser frei, guckte regelmässig nach ihm. Obwohl meine Betreuung sich von Jahr zu Jahr meiner Meinung nach verbesserte, professioneller wurde, schaffte Oli diesen Winter nicht. Ich versuche mich mit dem Gedanken zu trösten, dass Oleander Pflanzen auch nur ein gewisses Alter erreichen können und dann sterben. Meine Mutter hingegen ist der Ansicht, ich wäre über die Jahre einfach schlampig und weniger gewissenhaft geworden. Was meint ihr?